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Entdeckungsreise durchs Markgräflerland

ISBN:
3865570151

€ 16.00

Leseproben

Momentaufnahme im Sommer

Im Gras zu liegen, ganz ins warme Licht versunken;
die Sonne goldet durch das Blätterdach.
Das Firmament ist hoffnungslos betrunken.
Ich schlafe nicht, nein, doch bin ich auch nicht wach.

Die Sonnenblumen haben gute Laune
und schäkern fröhlich mit Getier und Strauch.
Ich liege auf der faulen Haut und staune:
Goldene Sonnenkleckse schmücken meinen Bauch.

Selbst die blaugrüne Fliege wird ertragen.
Die Stimmung heut‘ gestattet keinen Mord.
Es ist nicht nötig, irgendwas zu sagen,
das Jahr das schreitet unaufhaltsam fort.

Ein Tag in den Reben

Obwohl Wochenende ist, klingelt der Wecker um sechs Uhr. Eine Zumutung! Aber ich habe es ja so gewollt. Ich habe mich für einen Tag als Hilfe beim Herbsten gemeldet. Ein Blick aus dem Fenster sorgt für die richtige, herbstliche Stimmung. Es ist dunkel und feucht. Vom Tag ist noch keine Spur zu sehen. Wie sich das Wetter heute entwickeln wird, das kann ich noch nicht erkennen. Oft sind ja die Tage im Oktober noch sehr schön und freundlich. Ich werde es auf mich zu kommen lassen müssen. Jetzt jedenfalls ist es draußen kühl und ungemütlich.

Zuerst bekommt die Katze ihr allmorgendliches Quantum an ausgiebigen Streicheleinheiten. Sie schnurrt und gurrt und streicht um meine Beine, als hätte sie sich die ganze lange Nacht über qualvoll nach mir gesehnt. Sehr konsequent und energisch bestimmt sie dann den genauen Zeitpunkt, zu dem der Austausch von Zärtlichkeiten beendet wird. Dann fordert sie ihr Frühstück.
Also auf, die Katze gefüttert, dann in die alten Jeans gestiegen! Ein T-Shirt, falls es warm wird und drüber einen alten Pullover.
Mein Frühstück besteht aus Brot, Käse, Kaffee und Milch. Ich habe ja keine Ahnung, wann es wieder was gibt. Mit den Gewohnheiten der Winzer bin ich noch nicht vertraut.
Die Gummistiefel aus dem Keller und die Regenjacke vom Haken bin ich, so hoffe ich, gut ausgestattet, um als Winzerin in Aktion zu treten.
Mit meinem klapprigen Rad fahre ich zum Bauernhof nach Biengen, einem Ortsteil von Bad Krozingen. Inzwischen dämmert es. Der Himmel ist bewölkt. Ein Farbspiel in grau, lila und weiß. Fern im Osten sieht es etwas bedrohlich aus. Sollte es zu regnen beginnen, findet die Weinlese heute nicht statt. Es wird nur bei trockenem Wetter geerntet. Warum, das weiß ich auch nicht.
Durch Biengen fahre ich auf engen Sträßchen, vorbei am Schloss, vorbei auch an des Dorfes einzigem Briefkasten.
Schon bald höre ich ein lautes Stimmengewirr. Ein Mix aus polnisch und deutsch. Kurze Zeit später sehe ich in einer Hofeinfahrt die Zugmaschine mit dem Anhänger stehen. Oben auf dem Hänger sitzen die Leute und warten darauf, dass es losgeht. Fast nur Männer. Hinten drauf steht eine riesige Wanne. Daneben sind Eimer gestapelt. Außerdem liegen da ein Klapptisch und zwei Bänke.
Mein Rad bleibt im Hof. Ich steige hinauf zu den anderen Leuten. Um Punkt acht Uhr, nachdem der Winzer seine Helfer begrüßt hat, poltert das Gefährt auf Wirtschaftswegen zum Weinberg. Dort angekommen bekommt jeder seine Rebschere, ein paar Instruktionen, und die Arbeit kann beginnen. Wir ernten heute Spätburgunder.
Nachdem ich eine Stunde Trauben geschnitten habe, zeigen sich die ersten Blasen an meinen Händen. Die Finger sind klamm und steif. Es fällt mir schwer, die Schere zu halten, drum lege ich sie auf die Erde und mache ein bisschen Fingergymnastik, krallen – strecken ...
Um die rechte Hand zu entlasten, versuche ich mit der Linken zu schneiden, stelle mich aber dabei so ungeschickt an, dass ich bald die Hand wieder wechsle.
Es wird heller. Der Himmel klart sich auf. Etwas Gold mischt sich in das Farbspiel. Mehr und mehr Sonnenstrahlen finden den Weg zu uns herunter. Beim Blick über die Rebberge sehe ich ein weites, filigranes Gewebe aus zarten Silberfäden blitzen. Der ganze Weinberg scheint glitzernd versponnen. Das sind die Drähte, mit denen die Rebpfähle verbunden sind. Sie glänzen in dem scheuen Sonnenlicht.
Durch den Kopf geht mir das Herbstlied von den bunten Wäldern und den gelben Stoppelfeldern:
„Wie die volle Traube aus dem Rebenlaube purpurfarben strahlt ...“
Zum Singen ist mir aber nicht gerade zumute. Die Arbeit ist schwerer, als ich sie mir vorgestellt habe. Die Feuchtigkeit der Nacht rieselt mir in die Öffnungen der Ärmel hinein. Alles ist nass. Die Erde klebt an den Gummistiefeln und macht sie schwer.
Immer zwei Leute arbeiten an einer Rebzeile. Auf jeder Seite einer. Da muss man ein bisschen Acht geben, dass man sich nicht gegenseitig mit den Scheren verletzt. Mir gegenüber arbeitet eine polnische Frau. Sie spricht nur wenige Worte Deutsch, darum kommt kaum eine Unterhaltung zustande. Ich deute auf mich und sage deutlich meinen Namen. Daraufhin tut sie das Gleiche. Elena. Noch ein paar Vokabeln, Wein auf polnisch, inzwischen habe ich das Wort aber wieder vergessen. Dann plötzlich, in klarem, perfekten Deutsch: Scheiße! Sie hat sich heftig in den Zeigefinger geschnitten. Verbandsmaterial muss her!
Ich freue mich über die unplanmäßige Pause und verarzte Elena.
Dann geht es weiter. Trauben wandern in den Eimer. Ist der voll, wird er von einem jungen, wendigen Mann abgeholt, in die Wanne auf dem Anhänger geleert und zurück gebracht.
Inzwischen scheint die Sonne freundlich und warm auf uns herunter.
Hände und Werkzeuge kleben vom zuckrigen Traubensaft. Der Magen knurrt. Die Kirchturmuhr schlägt zwölf und wir machen eine halbe Stunde Pause. Jemand hat Tisch und Bänke aufgebaut. Auf dem Tisch stehen Köstlichkeiten, wie frisches Bauernbrot, Butter, Schinken, Käse, Wurst, Äpfel und Gurken, alles was der Bauernhof so hergibt. Zum trinken gibt es Wein aus grossen Korbflaschen und Wasser. Nun wird königlich getafelt. Die Helfer stehen und sitzen um den Tisch herum. Manche räkeln sich auf einem nahen Rasenstück. Wir haben gut gearbeitet und werden vom Winzer gelobt. Jetzt erfahre ich auch, warum bei Regenwetter die Weinlese vertagt worden wäre: Durch den Regen wären die Trauben nass geworden. Durch die Verwässerung des Traubensaftes sinken die Öchslegrade und die bedeuten für den Winzer bares Geld. Eigentlich logisch! Je schöner das Wetter, um so mehr Öchsle.
Weiter geht’ s, die Pause ist vorbei. Die Rücken sind gerade gebogen, Helferinnen und Helfer sind gestärkt, nun wird weiter geherbstet in einem anderen Rebstück. Die Eimer werden gefüllt, fortgebracht, geleert und wieder gefüllt.
Nicht mehr viele Rebstücke werden von Hand bearbeitet. Wo es irgendwie möglich ist, setzen die Winzer den Vollernter ein. Damit fahren sie durch die Rebzeilen und die Maschine „saugt“ das Erntegut ab. Das geht sehr viel schneller und bequemer. Weil allerdings die Maschine nicht sehen kann, was sie alles saugt, findet man hinterher im Erntegut auch Dinge, die da eigentlich nicht hineingehören. Schneckchen zum Beispiel, und Laub.
Ein neues Gesicht teilt sich die Rebzeile mit mir. Pavel hilft in jedem Jahr bei der Weinlese und macht das schon richtig routiniert. Nur wundert mich, dass sich sein Eimer überhaupt füllt. Es sieht immer so aus, als stecke er die Trauben nur in seinen Mund. Zwischendurch tut es hin und wieder einen deutlich hörbaren, explosionsartigen Puff da drüben. Das ist die Wirkung, die Reaktion der frischen Trauben im Darm. Das Gas muss raus.
Gegen vier Uhr wird die Lese für heute beendet. Jeder geht mit seiner Schere und seinem Eimer zum Anhänger und wir fahren zum Bauernhof zurück.
Dort angekommen, werden zu allererst penibel die Scheren gezählt.
Fehlt eine Schere, muss sie gesucht werden, denn die Gefahr ist zu groß, dass sie unter das Erntegut geraten ist. Die Trauben werden in der Winzergenossenschaft sofort verarbeitet. Ein Fremdkörper zwischen den Früchten würde die Maschinen beschädigen, den ganzen Ablauf lahm legen und große Kosten verursachen.
Sind alle Scheren vollzählig, dürfen die Helfer in der großen Wohnküche der Bauersleute Platz nehmen und werden noch einmal üppig bewirtet. Es gibt warmen Schinken, Brägele und Salat. Zum Schluss wird noch Kaffee und ganz feiner, natürlich selbst gebackener Apfelkuchen aufgetischt.
Während sich die Helfer verwöhnen lassen, fährt der Winzer mit den Trauben zur Winzergenossenschaft und schließt sich den schon wartenden Weinbauern an, um seine Ernte abzugeben. Kommt er an die Reihe, wird seine Anlieferung gewogen und der Öchslegrad bestimmt. Später sind diese Faktoren maßgeblich für seinen Verdienst.
Auch ich habe etwas mitbekommen: einen regenerierungsbedürftigen Rücken zwar, ein paar Blasen an den Händen, aber ein schönes Erlebnis, freundliche Menschen, gutes Essen, einen Tag in den Reben voller neuer Eindrücke und Erfahrungen von bäuerlicher, von körperlicher Arbeit und vierzig Euro.
Im nächsten Jahr bin ich wieder dab